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16.09.12

Warum ein kleiner Zaubertrick aus Wörtern einen spannenden Film macht

Jeder, der schon mal einen guten Roman aufgeschlagen hat, kennt das Phänomen: Bei einem spannenden Buch merkt man eigentlich gar nicht, dass man liest. Es genügen nur wenige Zeilen und die Buchstaben verschwinden beinahe. Stattdessen wird ein Film vor dem inneren Auge abgespielt. Man sieht Bilder, hört Stimmen und Geräusche und erlebt hautnah mit, was passiert. Die Welt um einen herum verschwindet und man taucht ganz in den Kosmos der Geschichte ein.

Um das hinzukriegen, verwenden professionelle Autoren einige Tricks und Kniffe. Einen davon wollen wir uns heute mal ansehen. Er ist ebenso einfach wie effektiv. Aber bevor es ans Eingemachte geht, sollten wir uns kurz daran erinnern, worum es hier eigentlich geht:
Um einen Riesenspaß!

Denn das, woran man Spaß hat, macht man oft; und man macht es gut, weil man sich dabei ständig verbessert, ohne sich dafür anzustrengen. Und dafür wiederum, dass man etwas gut oder immer besser macht, erhält man auch automatisch bessere Zensuren oder das größere Lob! Wenn man dadurch plötzlich spannende Aufsätze schreiben lernt, oder informative Erörterungen, und dafür auch noch bessere Noten bekommt: Super!
Trotzdem geht es vor allem darum, dass wir möglichst viel Spaß bei der Sache haben wollen. Langweilen kann man sich woanders immer noch…

Jetzt aber los!

Profis nutzen die verborgene Macht der »Spiegelneuronen«. Was das nun wieder genau bedeutet und wie die Dinger funktionieren, kann man in jedem halbwegs brauchbaren Lexikon nachschlagen. Damit wollen wir uns nicht lange aufhalten. Nur so viel: Wenn jemand vor dir seinen rechten Arm ausstreckt, eine Dose Cola anhebt, daraus trinkt und die Dose mit einem genüsslichen »Ah!« wieder zurückstellt, dann sorgen die Spiegelneuronen in deinem Gehirn dafür, dass du diesen Vorgang genau nachvollziehst. Du »spiegelst« diese Handlung innerlich wider. (Und weil dein Gehirn dir sagt: »Alles ist gut. Keine Gefahr.«, bleibst du dabei – meistens – auch ganz entspannt. Es könnte höchstens sein, dass du plötzlich auch Lust auf eine Dose Cola bekommst.)

Und diesen »Zaubertrick« kann man sich genauso gut für Texte zunutze machen. Wie? Indem man eine Handlung beschreibt, diese mit sinnlichen Details anreichert und mit einem Gefühl verbindet. Dadurch wird der Text für den Leser »lebendig«.

Man könnte natürlich schreiben: »Larry Brickster legte die alte Kleidung ab, schlüpfte dann in die neuen Klamotten und betrachtete sich anschließend im Spiegel.« Aber so kratzt man bloß an der Oberfläche. Man beschreibt nur eine rein äußerliche Handlung.

Schauen wir uns mal an, was passiert, wenn wir tiefer gehen. Wie wir diese Szene mit sinnlichen Details und Emotionen aufladen können:

»Larry zog sich das ausgeblichene Metallica-Shirt über den Kopf, das seine Ex-Freundin ihm geschenkt hatte. Die Jeans, die nur noch von Löchern zusammengehalten wurde, und die ausgelatschten Chucks pfefferte er ebenfalls in die Ecke. Das war alles Vergangenheit.
Er spürte beinahe körperlich, wie er mit der Kleidung den Ärger, die Demütigungen und Niederlagen der letzten Jahre abstreifte. - Nachdem er die Uniform angelegt und die blankpolierten Lederstiefel festgezurrt hatte, straffte sich sein Rücken.
Unwillkürlich schien Larrys Körper unter Spannung zu stehen.
Er blickte in den Spiegel und reckte das glattrasierte Kinn. Begutachtete die frisch geschnittenen Haare. Kontrollierte den korrekten Sitz des Mantels. Bewunderte die funkelnden Knöpfe. Ma wäre verdammt stolz auf ihn gewesen in diesem Augenblick. - Ab sofort gab es keinen ‚Larry, der Loser‘ mehr. Keinen verzweifelten Arbeitslosen. Und auch keinen gescheiterten Barkeeper. Er hatte sich in einen neuen Menschen verwandelt. Jetzt war er Sergeant Brickster. Und wehe dem, der sich ihm in den Weg stellen wollte…«

Verblüffend, nicht wahr? Die Szene ist haargenau dieselbe: Larry Brickster zieht sich um. Er legt alte Kleidung ab und zieht neue Kleidung an. Daraufhin schaut er in den Spiegel. Trotzdem wirkt die zweite Version des Textes lebendiger, farbiger. Denn wir erfahren etwas über den Menschen, der sich da umzieht. Wir erfahren, welche Gefühle, Erinnerungen und Hoffnungen er mit den Kleidungsstücken verbindet. Und wir werden Zeuge seiner Verwandlung, während er ein ganz neues Selbstwertgefühl entwickelt. Er spürt, wie ihn eine Mischung aus Stolz, Ehre und Macht durchflutet, und wir Leser empfinden es mit. Vollziehen es lesend nach.

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